Maria Montessori – wer, der sich nicht schon einmal mit kindgerechter Erziehung auseinandergesetzt hat, hat nicht von ihr gehört. So hatte auch ich zumindest eine Idee von den Ansätzen der 1870 geborenen Italienerin, ohne mich schon früher ausgiebig mit ihrer Erziehungslehre oder ihrer Vita auseinandergesetzt zu haben. Dank Laura Baldinis Roman „Lehrerin einer neuen Zeit“ habe ich nun Einblicke in beides gewinnen können und kann die unterhaltsame und gleichzeitig lehrreiche Lektüre sehr empfehlen.
Wegbereiterin einer neuen Pädagogik
Als erstes Buch in der Reihe „Bedeutende Frauen, die die Welt verändern“ ist Laura Baldinis biografischer Roman „Lehrerin einer neuen Zeit. Maria Montessori – Die schwerste Entscheidung ihres Lebens traf sie für das Wohl der Kinder.“ im Piper Verlag erschienen. Die Autorin zeichnet den Weg der Reformpädagogin nach, die als eine der ersten Frauen Italiens ein Medizinstudium absolviert – gegen einige Widerstände. Ihre Berufung findet sie dann in einer psychiatrischen Klinik, in der sie schockiert ist von den Zuständen, in denen die „schwachsinnigen“ Kinder aufbewahrt werden. Als sie beginnt, diesen vernachlässigten Kindern Spielzeug zu geben, erlebt sie eine ungeahnte Verwandlung der kleinen Patienten und erkennt, dass diese mit Zuwendung und der richtigen Erziehung durchaus zu Leistungen gesunder Kinder fähig sind. Auf ihrem Weg zur großen Pädagogin, als die sie heute noch geschätzt wird, muss sie jedoch eine folgenreiche Entscheidung für ihr privates Leben treffen.
Die Zustände der psychiatrischen Einrichtungen, die im Roman beschrieben werden, sind – gerade aus heutiger Sicht – tatsächlich erschütternd. Alleine die Wortwahl ist immer wieder abwertend und fern aktueller Political Correctness. Die traumatisierten, psychisch mitgenommenen Kinder, häufig Waisen, werden als „Idioten“ und „Krüppel“ bezeichnet. Sie werden mit brachialen Behandlungsmethoden wie z. B. Elektroschocktherapie gefügig gemacht, ihre Zimmer werden nicht gesäubert, sondern mit dem Wasserschlauch ausgespritzt. In der Klinik, in der Maria als Assistenzärztin arbeitet, sitzen die Kinder den ganzen Tag in den Betten und springen nur wie die Tiere auf, sobald es Essen gibt. Als Maria ihnen Alltagsgegenstände wie ein Küchensieb, ein Wollknäuel, Bohnen oder Linsen zum Erkunden gibt, sind die Kinder begeistert und verwandeln sich rasch. Was heute gängige Praxis ist, musste damals erst etabliert werden: Maria versucht, bei den Kindern möglichst viele Sinne anzusprechen und sie so bestmöglich in ihrer Entwicklung zu fördern.
Laura Baldini gelingt es, auf ansprechende Art und Weise die Grundlagen der Montessori-Pädagogik zu vermitteln. Auch wenn Gespräche und einzelne Begebenheiten fiktiv sind, bekommt man eine Idee von der Persönlichkeit Maria Montessori. Das Bild, das die Autorin von ihrer Protagonistin zeigt, ist in sich schlüssig und wirkt nachvollziehbar.
Die Frauenrechtlerin
Interessant ist auch Maria Montessoris Rolle als Frauenrechtlerin. So musste sie im Studium härter kämpfen als die männlichen Kommilitonen – beispielweise in den Anatomiestunden, in denen sie sich abends, nachdem alle Männer den Saal verlassen hatten, alleine das Sezieren beibringen musste. Schließlich zahlen sich die Mühen aber aus und sie bekommt schon während des Studiums zwei Assistenzstellen an Krankenhäusern angeboten. Nach ihrem Studium vertritt sie Italien u. a. beim internationalen Frauenkongress in Berlin, wo sie über die ungleiche Entlohnung von Männern und Frauen spricht – eine interessante Parallele zur immer noch aktuellen Gender Pay Gap-Diskussion.
Fazit
Auf der einen Seite längst überholte Erziehungsmethoden, auf der anderen Seite immer noch aktuelle Themen wie z. B. die Karrierechancen von Frauen – gerade diese Mischung macht Laura Baldinis biografischen Roman zu einer lesenswerten Lektüre. Auch wenn man die Entscheidung, die bereits im Untertitel des Buches angedeutet wird, in ihrer Richtigkeit hinterfragen kann, muss anerkannt werden, dass Maria Montessori mit der Entwicklung ihrer pädagogischen Methode einen bemerkenswerten Durchbruch erzielen konnte, der bis heute nachwirkt. Sie machte sich stark für die Kinder und entsprechenden Respekt ihnen gegenüber und verdeutlicht, dass es lediglich jemanden benötigt, der sie auf ihrer Reise annehmend begleitet: „Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen.“ (Maria Montessori)
Laura Baldini: Lehrerin einer neuen Zeit. Maria Montessori – Die schwerste Entscheidung ihres Lebens traf sie für das Wohl der Kinder. 5. Auflage | Piper Verlag | 2020 | 368 S. | Taschenbuch | ISBN: 978-3-492-06240-4
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